Landeshauptstadt Dresden - dmgwww.dresden.dehttps://dmg.dresden.de/de/marketing/mice-standortmarketing/dresdner-wissenschaftler-im-interview.php 24.03.2020 16:30:40 Uhr 26.01.2021 15:50:12 Uhr |
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Dresdner Wissenschaftler im Interview
Prof. Dr. Gerhard Fettweis: „Wir wollen die Elektronik revolutionieren"
- Vodafone Stiftungslehrstuhl Mobile Nachrichtensysteme TU Dresden
- Koordinator des TUD-Exzellenzclusters „Center for Advancing Electronics Dresden" (cfAED)
- Koordinator des Sonderforschungsbereichs „Highly Adaptive Energy-Efficient Computing" (HAEC)
Herr Professor Fettweis, Sie kamen 1994 aus dem Silicon Valley, also dem Mekka der Nachrichtenelektronik, nach Dresden. War das damals ein Abenteuer in der Provinz? Und wurde aus dieser Affäre eine Liebesbeziehung?
Das ist relativ einfach zu beantworten. Ich bin vor 18 Jahren hergekommen, so lange habe ich noch nie in einer Stadt gelebt. Da kann man wohl schon sagen, dass es sich um eine Liebesbeziehung handelt. Ich mag diese Stadt und ihr Umfeld sehr gerne. Als ich hierher kam, da war es natürlich... Also im Rückblick muss ich schon sagen: Ich war völlig verrückt, aber es hat sich gelohnt.
War es wie bei den ersten Siedlern, die Amerika urbar machten? Nur in Gegenrichtung?
Das kann man sagen. Es ging darum, zu sehen, ob man in so einem Gewässer zurecht kommt. Wie verrückt dieses Gewässer war, habe ich dann erst erfahren, als ich hier war. Aber es ist ja meist so, dass die Aufgabe größer ist, als man dachte. Ich kam also an eine Uni, wo einem die Gebäude so vorkamen, als müssten sie abgerissen oder wenigstens generalsaniert werden. Da schlug einem dieser typische Geruch entgegen, der vom Formaldehyd kam, das aus den Spanpressplatten herauskroch.
Trafen hier auch zwei Wissenschaftskulturen aufeinander?
Es gab Kollegen, die internationale Publikationen in unserem Sinne nicht kannten. Es wurde zwar international publiziert, aber nur innerhalb Osteuropas. Mit der Zeit sind die beiden Räume zusammengewachsen, wobei der westliche Raum klar dominiert hat. Das muss man einfach feststellen. Die ostdeutschen Kollegen mussten sich an die West-Forscher angleichen. Dabei war einiges an Aufbauhilfe zu leisten. Ich war 32 Jahre alt und musste Vierzigjährigen helfen, Anträge zu schreiben.
Das müssen Sie doch immer noch. Sie gelten als Dresdens bester Antragsteller, eben erst wieder von Erfolg gekrönt in der Exzellenzinitiative.
Ja, schon, aber heute bin ich selbst fünfzig.
Wie kam es, dass gerade Dresden dann einen solchen Aufstieg hingelegt hat?
Das ist eine Kombination von verschiedenen Dingen. Wir hatten eine extrem geschickte Landesregierung, die diesen „Dresden-Spirit", wie das heute genannt wird, erzeugt hat. Und den gibt es wirklich. Es ist sehr ähnlich wie im Silicon Valley, wo es den „Silicon Valley-Spirit" gibt. Man trifft sich dort wie hier kaum einmal, ohne zugleich über die Region und die Wissenschaftskultur zu schwärmen. Man ist begeistert, hier zu leben und zu arbeiten. Zudem hat diese Stadt natürlich historisch einiges zu bieten, wovon vieles inzwischen auf Vordermann gebracht ist. Mit etlichen tausend Einwohnern pro Jahr wächst Dresden auch immer noch. Der wirtschaftliche Aufstieg zieht neue Bewohner an und diese wiederum nutzen dem weiteren Aufstieg, eine Spirale nach oben.
Was ist der Kern des Dresden-Spirits?
Ein wichtiger Teil des Dresden-Spirits ist es, gemeinsam zu arbeiten statt einzelne Königreiche zu verteidigen. Ich habe bei all meinen Projekten versucht, verschiedene Kollegen mit hineinzuholen. Und das läuft in Dresden wirklich spitzenmäßig heute. Es hat freilich auch harte Kämpfe gegeben, etwa mit der Fraunhofer-Gesellschaft. Da ging es darum, dass die Universität anders entschieden hat, als es sich Fraunhofer das vorgestellt hatte. Diese Auseinandersetzungen haben dazu geführt, dass man heute sehr gut auf Augenhöhe miteinander arbeitet.
Sie sind sehr aktiv bei Ausgründungen, bringen eine Firma nach der anderen auf den Markt. Was reizt Sie daran?
Ich habe im Silicon Valley gelebt, da haben Sie einfach einen Gründer-Virus. Im Bereich Mobilfunk gab es hier anfangs nur wenige Firmen, mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Deshalb habe ich mir die eben selbst aufgebaut. Solche Ausgründungen vornehmen zu können, war eine meiner Forderungen, als ich hier ankam, und zwar gegenüber der Uni und gegenüber dem Stifter meiner Professur. Und da gab es keine Einwände, im Gegenteil, das wurde sehr begrüßt. Es geht nicht zuletzt darum, die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Wenn wir hier Promovenden und Diplomanden ausbilden, müssen die ja nicht fünfzig Kilometer weiter einen Job annehmen.
Sie animieren auch Kollegen und Studenten zu eigenen Gründungen und haben den HighTech Startbahn Inkubator initiiert, der Hilfestellung für Startups gibt. Wie erfolgreich ist er und wann haben Sie bemerkt, dass so etwas gebraucht wird?
Wir ziehen gerade auch einen eigenen Venture Fonds hoch. Konkret geplant haben wir diese Einrichtung vor etwa zwei Jahren, aber der Gedanke war schon lange da. Man braucht aber erst einmal genug Startup-Erfahrungen und Gründer, die es noch einmal versuchen wollen. Und trotz erster Erfolge dauert es wohl noch etwas, bis man sagen kann, dass der Inkubator reihenweise Startups hergebracht hat.
Die TU Dresden hat nicht zuletzt dank Ihres Einsatzes in der Exzellenzinitiative erfolgreich abgeschnitten. Was ändert sich als Elite-Universität?
Alles wird optimiert. Und es gibt nun Dinge, die wir ohne diese Initiative nicht machen könnten. Sie dürfen nicht vergessen: Obwohl wir hier eine sehr starke Mikroelektronik-Industrie haben, hatten wir bislang kein konzertiertes, auf die Elektronik insgesamt bezogenes Spitzenforschungs-Programm der Landesregierung. Das ist eine politische Fehlleistung des Freistaats, die nun korrigiert werden kann.
Werden also vor allem die ohnehin starken universitären Bereiche gestärkt?
Das muss man über Eck beantworten. In der Elektrotechnik, die zu den wichtigsten Fakultäten hier gehört, gerade auch im Hinblick auf die Industrie, sind wir über die letzten Jahre um über ein Drittel zusammengestrichen worden. Von 36 Professuren existieren noch 24. Diesen Trend können wir mit der Exzellenzinitiative umkehren. Mit dem Cluster haben wir einen massiven Aufpunkt gesetzt. Allein neun neue Professuren und bis zu zwölf Forschungsgruppenleiter wird es geben. Es können also bis zu zwanzig neue kluge Köpfe nach Dresden geholt werden, die Teams aufbauen. Das ist eine große Chance für alle involvierten Fakultäten.
Sie sprechen vom neuen Exzellenzcluster zur Elektronik der Zukunft, dessen Koordination Ihnen obliegt. Können Sie dabei von den Erfahrungen profitieren, die Sie mit dem Spitzencluster Cool Silicon gemacht haben?
Mit dem Spitzencluster Cool Silicon habe ich es vor einigen Jahren geschafft, die Industrie erfolgreich zusammenzuschließen. Das war sozusagen mein Probelauf, um zu sehen, wie gut ich riesige Teams zusammenbauen und dafür begeistern kann, auf einer Linie zu arbeiten. Bei Cool Silicon, dessen Koordination schließlich mein Kollege Thomas Mikolajick übernommen hat, damit ich mich voll auf die Exzellenzinitiative konzentrieren konnte, handelt es sich allerdings um einen anwendungsnahen Zusammenschluss. Bei dem neuen Exzellenzcluster geht es um Spitzenforschung. Wir haben viel vor, wollen neue Themen und außerordentlich neue Ideen aufgreifen. Wenn das Thema künftige Elektronik auftaucht, dann soll jeder auf der Welt sagen, da gibt es doch in Dresden diesen Cluster. Bei diesem Thema wollen wir zu den Top-Five-Standorten auf der Welt gehören.
Im Namen „Center for Advancing Electronics Dresden" ist das Visionäre ja schon in den Titel eingebaut. Werden Sie die Nachrichtentechnik revolutionieren?
Mit dem Cluster wollen wir tatsächlich die Elektronik revolutionieren. In zehn, zwanzig Jahren wird die jetzige Technologie komplementärer Metall-Oxid-Halbleiter (CMOS) strukturell in ihre Sättigungsphase eintreten, weil man durch das Verkleinern der Strukturen atomistische Grenzen erreicht. Wir möchten dann Ansätze vorweisen können, mit denen man weiterkommt. Jetzt gerade ist das Window of Opportunity geöffnet. Die Industrie muss freilich noch weiter auf CMOS setzen. Das ist verständlich und auch völlig richtig, denn in der Industrie geht es nicht um die ferne Zukunft. Wir als Hochschule haben aber die Aufgabe, zehn, zwanzig Jahre vorauszudenken. Und das ist total spannend.
Welche Ansätze sind das beispielsweise?
Es gibt mehrere „Pfade", die wir verfolgen. Ich nenne nur zwei Beispiele: Wir gehen heute von einer Elektronik aus, in der sich die Elektronen zweidimensional oder dreidimensional im Material bewegen. Sowohl in Kohlenstoff-Nanoröhrchen als auch in Silizium-Nanodrähten aber fließen die Elektronen nur in eine Richtung, vor oder zurück. Da verhält sich die Elektronik völlig anders. Wir wollen in dieser eindimensionalen Elektronik Lösungen erarbeiten, die über das hinausgeht, was wir heute kennen. Wir erforschen, wie man diese Elektronik reprogrammieren kann, wie sich Biomoleküle anbauen lassen, wie man Sensoren daraus machen kann und so fort.
Ein anderes visionäres Beispiel: Wir sehen uns in der Natur an, wie dort die ‚Elektronik', also die biologische Informationsverarbeitung funktioniert. Es kommen etwa Moleküle an Zellenaußenwänden an und die Zelle reagiert auf dieses große Informationsgemisch. Das ist hochkomplex. Diese Informationsverarbeitung ist hochgradig energieeffizient und nicht-linear. Wir arbeiten in der Elektronik derzeit immer mit linearen Systemen. Im Nicht-Linearen haben wir Probleme, stabile Systeme zu bauen. Die Natur baut jedoch extrem stabile Systeme im Nicht-Linearen. Können wir uns da eine komplett neue Art des Systembaus abschauen? Das also erforschen wir dort nun mit Systembiologen der TUD und des MPI.
Der SFB "HAEC - Highly Adaptive Energy-Efficient Computing", dessen Koordinator Sie ebenfalls sind, ist in den Cluster integriert. Geht der SFB darin auf oder bleibt er eigenständig?
Der bleibt eigenständig, aber ist voll integriert als einer der Pfade.
Halten Sie all diese Managementaufgaben nicht vom Forschen ab?
Zum Forschen im Labor komme ich tatsächlich kaum noch, aber zum Forschen im Zimmer, also in der Diskussion mit Doktoranden und Kollegen. Man braucht da einen recht strukturierten Plan. Außerdem liebe ich es, Verantwortung an Teammitglieder abzugeben. Das gibt meiner Mannschaft die Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren. Meine Studenten lernen damit auch, Verantwortung und Managementaufgaben zu übernehmen. Sie diskutieren beispielsweise selbständig mit wichtigen Professoren. Das geht ab und zu schief, dann muss ich dafür einstehen und als Coach zur Verfügung stehen. Aber insgesamt wird man dadurch effektiver.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. E.h. Dr. h.c. Werner A. Hufenbach: „Unsere Absolventen reißt man uns förmlich aus der Hand"
Direktor des Instituts für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden
Herr Professor Hufenbach, Sie kamen schon 1993 nach Dresden. Wie war es damals?
Da war noch viel Aufbauarbeit zu leisten. Wir haben quasi mit Nichts begonnen. Entscheidend aber war: Ich fand hier kluge und engagierte Köpfe mit einem beeindruckenden Improvisationstalent vor. Darüber hinaus hatte ich das große Glück, dass das von mir an der TU Clausthal aufgebaute und hochmotivierte Team meine Vision eines ressourceneffizienten Systemleichtbaus teilte, mir geschlossen nach Dresden folgen konnte. Dies war möglich, weil die entsprechenden Fördermittel seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auch nach Dresden übertragen wurden.
Gemeinsam haben die Mitarbeiter aus Dresden und Clausthal den Aufbau des neu gegründeten Instituts mit Leidenschaft vorangetrieben. Es begann für uns eine spannende und harte Zeit, die ich aber in meinem Berufsleben nicht missen möchte. Tagsüber wurde geforscht und danach haben wir bis in die Nacht hinein die Räumlichkeiten in Eigenregie renoviert. Auch Wochenendfahrten im Auto zwischen den Hochschulstandorten mit mehr als 15 Stunden für Hin- und Rückreise waren keine Seltenheit.
Musste das ILK, das Sie schon 1994 gegründet haben, gegen Widerstände durchgesetzt werden?
In Dresden nicht, da wurden wir mit offenen Armen empfangen. Aber natürlich haben Sie auch zu kämpfen, wenn Sie neue Ideen in vorhandenen Strukturen etablieren wollen. Das gehört dazu. Ich habe schon an der TU Clausthal u. a. auf dem Gebiet der faserverstärkten Verbundwerkstoffe geforscht und dies an der TU Dresden fortgesetzt. Damals dachte man vielerorts noch, dass Textilien nur für Pullover geeignet seien. Aber wir lagen richtig: Technische Textilien sind heute ein nicht mehr wegzudenkender Baustein im modernen Leichtbau. Es ging uns allerdings nicht darum, alles auf nur einen neuen Werkstoff auszurichten. Auf die intelligente, jeweils ideale beanspruchungsgerechte Kombination der Werkstoffe kommt es bei Strukturen an. Das besagt ja auch die von mir propagierte Philosophie: Funktionsintegrativer Systemleichtbau in Multi-Material-Design.
Und Dresden ist im Leichtbau nun ganz vorne mit dabei. Warum gerade Dresden?
Dresden besaß schon zu DDR-Zeiten eine sehr hohe Materialkompetenz und galt als Knotenpunkt für eine intensive regionale und internationale Wissenschaftsvernetzung. Auch damals hatte der Standort in dieser Hinsicht schon eine Sonderstellung. Deshalb waren hier ja die erwähnten klugen Köpfe: hochmotivierte, gut ausgebildete Wissenschaftler, denen bis dahin nur die notwendigen Mittel und moderne Forschungseinrichtungen gefehlt hatten.
Konnte man im Leichtbau vielleicht sogar von der DDR lernen? Ich denke etwa an die berühmte Karosserie des Trabants aus baumwollverstärktem Phenolplast.
In der Tat, schon damals hat man oft steife Rahmengerüste mit leichten Werkstoffen beplankt, die sogar den Pferden schmeckten. Soll sagen: In dem, was da gepresst wurde, waren bereits Naturfasern verarbeitet. Aus der Not hatte man eine Tugend gemacht - und das funktionierte. Die beim Trabant verwendeten Verbundwerkstoffe wurden schon in den zwanziger Jahren entwickelt. Heute denken wir auch wieder über solche Materialien nach.
Darüber hinaus gab es in Dresden bereits zu DDR-Zeiten auch eine große Forschungseinrichtung für Leichtbau, in der Nähe des Flughafens. Nach dem Zusammenbruch der Luftfahrtforschung in den sechziger Jahren gingen die früher mit der Entwicklung von Flugzeugen beschäftigten Ingenieure oft in den Sportgerätebau: Zum Beispiel bauten sie die bekannten Dresdner Bobs und Rennschlitten. Man kann schon sagen, dass der DDR-Leichtbau mit dem Westen voll mithalten konnte, wenngleich die Beschaffung von wertvollen Kohlenstofffasern eine eigene Geschichte war.
Und das führte dann auch zum schnellen Wiederaufstieg?
Hier war eben ein eingespieltes Team beisammen: hochinnovative Wissenschaftler sowie Ingenieure für die praktische Umsetzung. Außerdem wird in der Wissenschaftsregion Dresden sehr partnerschaftlich und effizient zusammengearbeitet. Und wenn alles stimmig ist, dann kommt am Ende auch etwas Gutes heraus.
Die Zusammenarbeit funktioniert hier besonders gut?
Ja, das war damals wichtig und ist es heute noch viel mehr. Wir haben früh erkannt, dass wir gemeinsam viel erreichen können, wenn wir alle an einem Strang ziehen - und das auch noch in dieselbe Richtung. Ein Netzwerk ist gut für Innovationen und gut für die Sichtbarkeit. So wurde bereits 1993 der Materialforschungsverbund Dresden (MFD) gegründet, der allen Interessierten aus Forschung, Entwicklung und Industrie offen steht - da gehörten wir zu den ersten Mitgliedern und dieser Interessenverbund trägt heute noch Früchte.
Unter Ihrer Führung wurde aus dem ILK ein großes, renommiertes Institut mit 240 Mitarbeitern, dessen Spezialität die Komplettlösung aus einer Hand ist. Für Ihren Einsatz für die Region der Erfinder wurden Sie kürzlich vom sächsischen Ministerpräsidenten mit dem Verdienstorden des Freistaats Sachsen ausgezeichnet...
Ich habe mich über diese höchste Auszeichnung des Freistaates Sachsen sehr gefreut und bin stolz darauf, als „Neu-Sachse" diese Würdigung erfahren zu haben.
Waren Sie denn nie in Versuchung, Dresden zugunsten eines anderen Standorts zu verlassen?
Sie haben Recht; natürlich habe ich häufiger lukrative Angebote bekommen. Doch wenn man - und ich spreche hier auch für meine Familie - die Stärken und die Schönheit von Dresden erst einmal kennen und schätzen gelernt hat, ist es nicht leicht hier wegzugehen. Dresden hat das Potential, zur attraktivsten Stadt in Deutschland aufzusteigen. Neben meiner Lehr- und Forschungstätigkeit in Dresden nehme ich auch noch eine Lehrtätigkeit für modernen Leichtbau in Shanghai wahr, wo höchste Dynamik zu spüren ist. Trotzdem fühle ich mich in Dresden pudelwohl und sehe keinen Grund den Ort zu verlassen.
Der Standort Dresden hat mit seiner Exzellenzuniversität und den zahlreichen, hochkarätigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen übrigens auch eine magische Anziehungskraft auf Studierende, wie die steigenden Anfängerzahlen zeigen: Wer hierher kommt, der ist fasziniert und wechselt nicht mehr.
Es gibt keine Nachteile?
Ein Nachteil ist es schon, dass von der einschlägigen Industrie bislang keine größeren Entwicklungszentren in Ostdeutschland angesiedelt wurden. Da muss man jedes Mal weit reisen, um Projekte zu akquirieren. Eigentlich ist die Wissenschaftsregion Dresden aber ein phantastischer Nährboden für innovative Ideen - wie die große Zahl von Ausgründungen beweist. Immerhin haben wir hier aber schon die modernsten Fabrikeinrichtungen der Welt: das BMW-Werk und das Porsche-Werk in Leipzig sowie das VW-Werk in Zwickau und einige mehr.
Ist der Leichtbau die Herstellungsweise der Zukunft? Sind wir am Ende der Eisenzeit angelangt und läuten jetzt das Carbonzeitalter ein?
Ganz so ist es nicht, auch die klassischen Werkstoffe sind innovativ und up to date. Ständig werden neue Legierungen entwickelt. Der Wettbewerb der unterschiedlichen Werkstoffe in der Wertschöpfungskette bringt den eigentlichen Fortschritt und festigt damit Deutschlands Stellung auf dem Weltmarkt bei Produkten, Prozessen und Dienstleistungen. Ich bin vom Multi-Material-Design überzeugt, also von einer intelligenten Mischbauweise: Der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle zum richtigen Preis bei richtiger Ökologie. Der Preis ist dabei nach wie vor ein starkes Argument. Es nutzt ja nichts, dass Sie etwas Neues herstellen, es muss ja auch verkauft werden.
Die kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffe (CFK) sind also nicht der eine große Zukunftswerkstoff?
Die CFK-Materialien sind bei den Zukunftswerkstoffen sicher dabei. Aber deshalb sind wir noch nicht im schwarzen Carbonzeitalter angekommen, als gäbe es sonst nichts. Sie müssen sich nur einmal die Relationen klar machen: ca. 1,5 Milliarden Tonnen Stahl werden jährlich weltweit erzeugt, aber nur ca. 40.000 Tonnen Carbonfasern. Auf diese kleine Menge hat es die Luftfahrt- und Fahrzeugindustrie abgesehen, zudem sollen davon Golf- und Tennisschläger gefertigt werden sowie leichte Fahrräder... Man sieht gleich, dass die Verfügbarkeit schnell zum Problem wird. Zur Zeit haben wir zwar genug CFK, aber nur deshalb, weil die Luftfahrt- und Autoindustrie noch zurückhaltend ist. Wenn die neuen Modelle von Airbus und Boeing durchschlagen, wird es knapp.
Aber da wird sich doch bei erhöhter Nachfrage einiges tun?
Ja, sobald man den neuen Werkstoff auf breiterer Front einsetzt, wird die CFK-Produktion anziehen und der Preis infolge der Massenproduktion fallen. Hiervon werden insbesondere leichtbausensible Fahrzeuge etwa im Bereich der Elektromobilität besonders profitieren, da Leistungssprünge bei den Batterien derzeit noch nicht erkennbar sind.
Kann der Leichtbau der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen?
Die Elektromobilität wird kommen, nur der Zeitpunkt ist noch nicht genau abzuschätzen. Es ist unerlässlich, dass die Fahrzeuge leichter werden. Da geht es um jedes Gramm. BMW geht da nun voran. Wir wissen noch nicht, was so ein Elektroauto kosten wird, und wann sich dies auf dem Markt durchsetzen wird, bleibt offen. Es ist weltweit ein ambitioniertes Ziel mit Pilotfunktion für weitere Fahrzeuge und andere Hersteller, die bereits in den Startlöchern stehen.
Bei der Elektromobilität ist Ihr Institut besonders wegweisend: Sie haben mit ThyssenKrupp das ultraleichte Elektroauto InEco entwickelt, einen zukunftsweisenden Prototypen.
Wir sprechen nicht von einem „Prototypen" sondern von einem „generischen Demonstratorfahrzeug", denn das ist alles dezidiert vorwettbewerblich. Dies spiegelt sich auch in unserer Verwertungsstrategie wider. Die einschlägigen Zulieferer oder großen Automobilbauer sollen sich das ansehen und sagen können: Diese oder jene Komponente wollen wir übernehmen, diesen spezifischen Werkstoff an der Stelle einsetzen, diese spezifische Fügetechnik bei dem Mischverbund anwenden.
Unser ultraleichter Viersitzer InEco mit einem Gewicht von unter 900 Kilogramm wurde nicht in einer Monocoque-Bauweise sondern in einer „Integrierenden CFK/Stahl-Mischbauweise" realisiert. Als kosteneffiziente Herstellungsverfahren von CFK-Bauteilen kommen anstelle der herkömmlichen Prepreg- und Autoklav-Verfahren nun sowohl Hochdruck-RTM als auch thermoplastbasierte Heißpressverfahren in Verbindung mit angepassten Textiltechniken zum Einsatz. Darüber hinaus kann durch die gewählte Bauweise die Anzahl der Karosseriekomponenten von ca. 300 auf ca. 60 reduziert werden. So wird man leichter und preiswerter. Wir haben auch leichte Carbon-Räder entwickelt, die den Industriestandards voll genügen. So etwas hat nicht jeder zu bieten! Und von solchen innovativen Feinheiten gibt es noch viele. Fachleute bescheinigen uns bereits heute, dass im InEco viel Zukunft drinsteckt.
Mit diesem Auto sind Sie auf Messen unterwegs. Wie kommt es an?
Bei unserem Modellauto stehen die Interessenten Schlange, eben waren wieder mehrere Automobilisten und Zulieferer hier. Auch das generische Demonstratorfahrzeug eTRUST in CFK/Aluminium-Mischbauweise, das wir in einem anderen Projekt entwickelt und in Fahrtests erfolgreich erprobt hatten, findet nach wie vor großen Zuspruch.
Wann werden solche Fahrzeuge die Entwicklungsphase hinter sich lassen und auf der Straße sichtbar werden?
Gemäß den Vorgaben der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos allein in Deutschland auf der Straße sein. BMW hat eine mutige strategische Entscheidung getroffen und baut nun in Leipzig. Der Start des ersten Serien-Elektrofahrzeugs i3 ist wohl Ende 2013, anschließend soll der Sportwagen i8 mit einem Plug-in-Hybridantrieb folgen. In 2014 werden Sie in diesem Bereich schon eine gewisse Vielfalt sehen, wie etwa den Smart von Daimler oder von VW den Golf und den Up. Wenn es bei BMW erfolgreich läuft, kann man davon ausgehen, dass die anderen auch alle einsteigen - und zwar massiv. Ich darf Ihnen versichern, dass man auch in der Wissenschaftsregion Dresden für die Elektromobilität stark sensibilisiert ist und auch von hier starke Impulse ausgehen werden, um Deutschland weltweit als Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität zu etablieren.
Das Recycling ist aber schon komplizierter?
Bei Mischbauweisen ist das Recycling immer ein gewisses Problem. Man muss daher schon in der Konzeptphase das spätere werkstoffgerechte Demontieren mit einplanen. Das gilt generell bei der Mischbauweise und ist für ein erfolgreiches Recycling entscheidend. Bei uns am Institut mit seinem holistischen Ansatz gehört die Wiederverwendung der Werkstoffe darum stets fest dazu. Persönlich bringe ich auf diesem Gebiet bereits einen großen Erfahrungsschatz mit, da ich viele Jahre auch an der Clausthaler Umwelttechnik-Institut GmbH (CUTEC) als Direktor des Bereiches Umweltgerechte Demontage und Reststoff-wiederverwertung tätig war.
An welchen weiteren Zukunftsvisionen forschen und bauen Sie gerade am ILK?
Ultraleichte Fahrzeugstrukturen werden die Mobilität der Zukunft beherrschen. Insbesondere für die urbane Mobilität werden Elektrofahrzeuge in ihren unterschiedlichen Varianten eine zentrale Rolle spielen und damit auch weiterhin im Fokus der F&E-Aktivitäten am ILK stehen.
Stark vertreten sind auch Luftfahrt-Projekte von der Rumpfstruktur über die Kabine bis hin zum Triebwerk: Hier ist leichtes Material natürlich essentiell. Wir entwickeln zum Beispiel zusammen mit Rolls-Royce Triebwerke mit CFK-Blades, die im Betrieb deutlich leiser sind als die heutigen. Das ILK gehört übrigens zu dem starken universitären Netzwerk, das Rolls-Royce aufgebaut hat: Weltweit gibt es 28 UTCs (University Technology Centers), die Hand in Hand an nationalen und internationalen F&E-Projekten arbeiten. Für Luftfahrtanwendungen entwickeln wir auch Leichtbau-Aktuatoren in innovativer Faserverbund/Metall-Mischbauweise. Von diesen hydraulischen Stellantrieben werden in Flugzeugen sehr viele verbaut, da kann einiges an Gewicht eingespart werden. Man will ja nicht Material durch die Gegend fliegen, sondern Nutzlast.
Elektrofahrräder sind ebenfalls ein großes Thema bei uns, entweder in CFK-Bauweise oder in Mischbauweise. Wir haben zum Beispiel ein robustes CFK-Lastenfahrrad gebaut. Ein weiteres Feld ist der klassische Maschinenbau, der heute noch zu großen Teilen von Metallen beherrscht wird, obwohl gerade hier, wo hohe Zustellgeschwindigkeiten und Zustellbeschleunigungen erforderlich sind, viel Energie durch den Einsatz von ultraleichten CFK-Bauteilen eingespart werden könnte. Darüber hinaus beschäftigen wir uns u. a. mit Hochleistungswellen, Walzen, Getriebegehäusen und Federn in CFK-intensiver Ausführung. Auch neuartige faserverstärkte Stabilisatorflossen im Schiffbau stammen von uns und sind bereits erfolgreich im Einsatz. Ferner entwickeln wir CFK-Höchstdruckbehälter zur Energiespeicherung, bei denen die Sicherheitselektronik bereits in den Werkstoff integriert ist.
Wir erforschen zudem Biowerkstoffe, denn ich bin überzeugt, dass wir durch die Ressourcenknappheit nicht umhin kommen, Naturwerkstoffe stärker zu berücksichtigen. Und ich könnte hier noch einiges mehr aufzählen, etwa das Gebiet der Rehabilitations- und Medizintechnik.
Das Wichtige aber ist: Wir haben immer das Gesamtsystem im Blick. Wir entwickeln nicht nur das Bauteil, sondern auch den technologischen Prozess dazu. Es bringt meist wenig, wenn man eine einzelne Komponente verändert, ohne die Wechselwirkungen mit dem Gesamtsystem zu berücksichtigen. Ein Markenzeichen des ILK sind daher Leichtbaulösungen aus einer Hand: von der Werkstoffauswahl über Simulation, Konstruktion, Prototypfertigung, Qualitätssicherung, Erprobung und Recycling. Diese Durchgängigkeit ist eine erfolgreiche Dresdner Spezialität.
Wie ist das ILK denn forschungstechnisch vernetzt?
Das ILK ist Initiator und Partner von zahlreichen DFG-geförderten Grundlagen-Verbundprojekten (SFB, Transregio, Schwerpunktprogramme,...) sowie AiF-, BMBF-, BMWi- und EU-Projekten. Wir sind langjähriges Mitglied im Materialforschungsverbund Dresden e.V. (MFD) sowie Gründungsmitglied beim Automotive Cluster Ostdeutschland e.V. (ACOD). Weiterhin ist das ILK Mitglied des Kompetenzzentrums Luft- und Raumfahrttechnik Sachsen/Thüringen e.V. (LRT) und des Carbon Composites e.V. (CCeV). Auf dem Gebiet der Kunststofftechnik ist das Institut Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis Kunststofftechnik (WAK).
Im 2007 eingerichteten Spitzentechnologie-Cluster „ECEMP - European Centre for Emerging Materials and Processes Dresden" ist das ILK Sprecher-Institut. Seit 2008 wird der Cluster im Rahmen der Sächsischen Landesexzellenzinitiative gefördert. 40 Professuren sind dort beteiligt. Wenn man alles zusammenrechnet, sind so über 2000 Materialforscher zusammengeschlossen. Das ist Power! Überall werden wir um diesen Cluster beneidet, der intensiv Naturwissenschaftler mit Ingenieuren zusammenbringt. Eine der Aufgaben des Clusters ist es, verschiedene Materialien so zu kombinieren, dass wir Mehrkomponentenwerkstoffe mit neuen Eigenschaften generieren. Auch hier liegt der Fokus insbesondere auf den effizienten Prozessen. Neue Produkte herstellen können viele, aber nur wer die effizientesten und reproduzierbarsten Herstellungsprozesse beherrscht, wird sie schließlich auch erfolgreich am Markt platzieren können.
Was wir hier in Dresden außerdem ganz besonders pflegen, sind die regionalen und osteuropäischen Netzwerke. Intensiv vernetzt ist das ILK nicht nur in Sachsen und Deutschland sondern auch mit ausgewählten Universitäten in Polen, Rumänien, Tschechien, Ukraine oder Russland. Das ist eine riesige Chance für die Dresdner Wissenschaftsregion. Wir können hier auf alte Kontakte und Netzwerke zurückgreifen, denn viele der Dresdner haben in einem dieser Länder studiert oder umgekehrt. Das ist ein Zukunftspotential, für das der Großraum Dresden in besonderer Weise prädestiniert ist. Und man darf nicht vergessen: Das sind zugleich die Zukunftsmärkte, wobei etwa Polen schon sehr weit vorangeschritten ist und Russland sicher nachziehen wird.
Und die Lehre...
...ist bei uns natürlich von ganz zentraler Bedeutung. Wir binden unsere Studierenden früh sowohl in Grundlagenforschungsprojekte als auch in anwendungsnahe Industrieprojekte ein, in denen sie manchmal auch den industriellen „Druck" hautnah erleben können. Hierbei können sie bereits wichtige Erfahrungen für das spätere Berufsleben sammeln. Die zunehmende Zahl von weiblichen Studienanfängern zeigt, dass Leichtbau auch für Ingenieurstudentinnen eine hochattraktive Studienrichtung ist. Um unsere Studierenden und Absolventen brauchen wir uns nicht zu sorgen, man reißt sie uns förmlich aus der Hand. Hier muss niemand Sorge haben, nach seinem Studium keinen Job zu finden. Und wir profitieren alle davon, denn die Studierenden von heute sind die Netzwerkknoten von morgen.
Vielen Dank für das Gespräch
Dr. Oliver Jost: „Dresden ist gerüstet für das Kohlenstoff-Jahrhundert"
Dr. Oliver Jost
Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS)
Herr Jost, Dresden und Kohlenstoff-Nanoröhren, das gehört für Sie zusammen, oder? Wie kam es dazu?
Beides hat Zukunftspotential. Und beides hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erfahren. Wie kam ich dazu und wie kam ich dort hin? Ich bin geboren in Nordrhein-Westfalen und habe im Harz studiert, quasi auf halbem Weg nach Dresden. Im Dresdener Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) habe ich dann ab 1993 promoviert, bevor ich als Postdoc 1999 an die TU wechselte. In einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) habe ich als einer der ersten Forscher in Dresden mit Kohlenstoff-Nanoröhren gearbeitet. Das war damals noch ein neues Material, das jede Menge Weltrekorde aufwies und die Materialwissenschaftler sofort fasziniert hat. Mit diesen winzigen Röhrchen habe ich später wieder im Rahmen der Fraunhofer-Gesellschaft weitergearbeitet, diesmal am Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS). Da ging es dann um die Anwendung.
Wie war es, Anfang der Neunziger in den Wissenschaftskosmos Dresdens einzutauchen?
Oh, das war ein regelrechter Schock. Eine ziemlich harte Zeit, das muss ich sagen. Wenn man als frischgebackener Diplomingenieur aus dem Westen hierher kam, wurde man doch schief angesehen. Man musste da schon gegen die Besserwessi-Vorurteile ankämpfen. Aber ab etwa 2002 war das kein Thema mehr. Da wurde es auch sehr international. Die Hauptsprache ist an vielen Instituten seither auch eher Englisch als Deutsch.
Ist die TU heute das Bindeglied zwischen all den Forschungseinrichtungen Dresdens?
Die TU Dresden ist zentral. Wir bei Fraunhofer zum Beispiel nutzen unter anderem das, was die TU-Forscher sich in der Grundlagenforschung erdacht haben, und versuchen, es zur Marktreife zu entwickeln. Auch Max Planck-, Leibniz- und Helmholtz-Institute sind wichtig, die ebenfalls Grundlagenforschung betreiben. Aber das findet sich alles irgendwo in der TU wieder. Sie ist wie ein Pool, in dem alles zusammenkommt. Und sie hat ja jetzt auch in der Exzellenzinitiative erfolgreich abgeschnitten.
Gibt es in der Materialforschung einen speziellen Dresden-Ansatz?
Da sind in Dresden die Fraunhofer-Einrichtungen, die in diesem Feld sehr gut positionierte TU, das interessante Leibniz-Institut IFW sowie das Institut für Polymerforschung (IPF) führend tätig. Und sie alle arbeiten sehr stark auf der Kohlenstoffstrecke. Auch durch die Exzellenz der TU Dresden und das hier existierende ‚Center for Advancing Electronics Dresden' wird unter anderem versucht, die Zukunft der Elektronik auf Kohlenstoff aufzubauen. Dieser hat große Vorteile gegenüber Silizium. Neben der Elektronik ist der Leichtbau ganz stark in Dresden. Hier ist die Kohlenstoff-Faser sehr bedeutend. Ich behaupte, das 21. Jahrhundert wird das Kohlenstoff-Jahrhundert. Und Dresden ist ganz vorne dabei.
Dann bleiben wir doch beim Kohlenstoff. Sie haben ein Verfahren zur kostengünstigen Herstellung einwandiger Kohlenstoff-Nanoröhren entwickelt. Wie ging es mit Ihren Forschungen weiter?
Zunächst war die Skalierung wichtig. Die Herstellung von wenigen Gramm musste zu Kilogramm gesteigert werden. Das haben wir geschafft. Dann ging es um die Anwendung selbst. Transparente Elektroden machten wir eines der zentralen Forschungsfelder aus. Biegsame, ziehbare Touchscreens schienen möglich. So etwas wollten wir entwickeln. Dafür muss man die elektrisch leitenden Röhrchen in winzigen Mengen in andere Materialien einbringen. Da sind wir immer noch dabei. Das erste aber, was wir hier gemacht haben, war die Anwendung in Aktoren, also Geräten, die elektronische Signale in mechanische Bewegung umsetzen und umgekehrt.
Die Kunstmuskeln, bei denen Sie jüngst einen wissenschaftlichen Durchbruch erreicht haben...
Ja, die sogenannten Kunstmuskeln. Technisch handelt es sich um dielektrische Elastomer-Aktoren aus biegsamen Materialien. Das Prinzip ist einfach. Man legt dabei viele dünne Schichten übereinander, immer abwechselnd aus leitenden und isolierenden Materialien. Wenn man dann unterschiedliche Ladungen aufbringt, lässt sich elektrostatischer Druck erzeugen und das Material verformt sich. Diese Grundidee wurde vor etwa zehn Jahren erstmals propagiert, es gab zum Beispiel einen wichtigen „Science"-Artikel dazu. Es hat bei den Kollegen auch alles so weit funktioniert. Aber es blieb doch ein grundlegendes Problem bestehen: Man hatte keine vernünftige leitfähige Elektrode. Die Schichtbereiche müssen nämlich dehnbar sein, richtig dehnbar, so wie ein Muskel sich kontrahiert und ausdehnt. Es gab aber keine elektrisch leitende Schicht, die diese Bewegung Tausende Male mitmachte, ohne zu reißen.
Man hatte dabei immer Metalle benutzt.
Genau. Und das war dann der große Durchbruch unseres Projekts. Wir haben die Kohlenstoff-Nanoröhren mit dem biegsamen Material selbst, also Gummi, Kautschuk oder Silicon, verbunden. Unsere elektrischen Leiter können Sie deshalb biegen und ziehen. Die Länge ist verdoppelbar. Das war die Grundlage für unsere Aktoren.
Damit haben Sie die Konkurrenz abgehängt?
Es forschen schon noch einige andere Wissenschaftler an dieser Technik, nicht unbedingt in Deutschland - hier etwa die TU Darmstadt -, aber international doch schon. Meist werden jedoch nach wie vor Metallschichten und Gummischichten verwendet. Und da entsteht eben das Problem, dass die leitende Schicht reißt oder bricht. Man hat es auch mit transparenten Keramiken oder Graphit- und Silberflocken versucht, aber da entstehen neue Probleme. Wenn es beweglich und doch fest verbunden sein soll, müssen die beiden Schichten im wesentlichen aus demselben Material bestehen. Bei uns ist das so, weil wir die Röhrchen in winzigen Mengen in das Grundmaterial eingebracht haben. So haben Sie am Ende einen einzigen gummiartigen Elastomer-Körper, bei dem Sie gar nicht merken, dass er schichtartig aufgebaut ist. Unsere Aktoren haben ohne Einbußen zehn Millionen Zyklen durchgestanden. Dann haben wir einfach nicht weitergeschaut. Vielleicht wären auch zehn Milliarden Zyklen möglich. Zehn Millionen Zyklen ist in der Industrie eine wichtige Größe, die Automobilindustrie etwa gibt diese vor. Was auch wichtig ist: Man kann bei der Beschichtung von Rolle zu Rolle arbeiten, weil nur ein Grundmaterial benutzt wird. Das ermöglicht es, das Ganze hinterher aufzurollen. Die einzelnen Schichten sind ja nur ca. 100 Mikrometer dick.
Wie ist diese Technologie einsetzbar?
Da haben wir uns viele Gedanken gemacht. Man kann sie tatsächlich für künstliche Muskeln nutzen, also etwa in der Robotik, aber auch bei Prothesen. Auch Vibrationsdämpfung ist möglich. Eingebracht in den Himmel von Automobilen etwa könnten Schwingungen weggenullt werden, wodurch es im Inneren des Fahrzeugs sehr leise würde. Es ließe sich auch im Außenbereich anwenden, um PKW-Geräusche zu reduzieren. Die Technik eignet sich weiter für Ventile oder Industrieaktoren. Wenn Sie das Material nicht aufrollen, sondern flächig ausbreiten und viele Schichten übereinander aufbringen, kann damit eine riesige Kraft erzeugt werden. Das ermöglicht Flächenpressungen. Taktile Bildschirme sind denkbar, Braille-Terminals für Blinde etwa, auch Lautsprecher oder haptische Pads. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit stellen Mikrosystemtechniken dar, beispielsweise winzige Pumpen, die in Schläuche oder in den Körper eingebaut sind. Und schließlich kann man auch das Prinzip umdrehen, was Generatorik und Energy-Harvesting ermöglicht. So lassen sich diese Schichtsysteme etwa in einen Zylinder einbauen und als Wellenkraftwerk nutzen.
Und für all dies haben Sie das Patent?
Wir haben das Grundlagenpatent für diese Technik. Wir haben uns die flexiblen Materialien in Verbindung mit Elastomeren für die Aktorentechnik patentieren lassen. Da es das einzige Material ist, das in diesen sensiblen Bereichen Sinn macht, handelt es sich um ein Flaschenhals-Patent. Um uns kommt eigentlich niemand herum, wo immer es um beständige Aktoren geht.
Wie ist der Energieverbrauch?
Unsere Aktoren leisten generell einen Beitrag zur Energieeffizienz, schon allein dadurch, dass unser Material leicht ist. Es hat etwa das Gewicht von Wasser. Dazu haben die Aktoren eine hohe Energieeffizienz.
Gibt es denn noch Probleme bei Ihrer Technologie?
Das Hauptproblem ist gelöst. Ein kleineres Problem besteht noch darin, dass man die Spannungen reduzieren muss. Derzeit bewegt man sich im Bereich von 1000 Volt. In der Robotik ist das vielleicht noch möglich, aber bei der Prothetik so nicht einsetzbar. Wir müssen dazu die Schichtdicken reduzieren. Wenn wir sie auf 10 Mikrometer Dicke reduziert bekommen, braucht man nur noch 100 Volt. Und irgendwann lässt sich ein Aktor mit einer simplen Batterie betreiben. Man braucht dann natürlich sehr viele Schichten übereinander. Wenn wir es schaffen, zu zeigen, dass man zum Beispiel zehntausend Schichten gleichzeitig herstellen kann, dann hat man es geschafft. Dann ist unser Material drin im Markt.
Gibt es schon Interessenten aus der Industrie?
Wir haben soeben das erste Industrieprojekt aus dem Bereich Elektrotechnik hereingeholt.
Wollen Sie die Umsetzung nicht selbst in die Hand nehmen? Eine Ausgründung also?
Daran haben wir schon gedacht. Es hängt noch ein wenig von den Kohlenstoff-Nanoröhren-Entwicklungen ab, aber später vielleicht.
Der Durchbruch wurde erreicht im CANDELA-Projekt des Bundesbildungsministeriums. Wie wichtig war dieses für Ihre Entwicklung?
Wir hatten grundlegende Ideen schon zuvor, aber keine Förderung. Erst mit dieser Ausschreibung konnten wir richtig und sehr erfolgreich anfangen. Das Projekt wurde Mitte 2008 beantragt und begonnen hat es 2009. Das CANDELA-Projekt war ein gemeinsames von Fraunhofer und TU Dresden, insgesamt waren etwa 10 Personen beteiligt. Inzwischen ist es beendet.
Gibt es Anschlussprojekte?
Es erreichen uns Fragen, ob man das nicht hier oder dort weiterführen kann. Es läuft bereits ein kleines Anschlussprojekt, es werden wohl bald mehrere Anschlussprojekte hinzukommen. Aber dazu kann ich noch wenig sagen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Karl Leo: „Wir wechseln jetzt auf die Überholspur"
- Direktor des Instituts für Angewandte Photophysik der TU Dresden (IAPP)
- Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Organik, Materialien und Elektronische Bauelemente (COMEDD)
Herr Professor Leo, Sie sind schon seit 1993 in Dresden. War die Stadt damals bereits eine wissenschaftliche Destination?
Ich kam 1993 durch eine Berufung an die TU Dresden. Davor war ich an der RWTH Aachen, noch früher in Amerika. Für mich war Dresden völliges Neuland. Ich habe mir vor meiner Bewerbung das Institut hier einen Tag lang angesehen. Da lag vieles im Argen. Es war ja noch akute Wendezeit, die Stadt eine einzige Baustelle. Die Infrastruktur der Universität hatte auch gelitten, zum Beispiel war das Dach des Gebäudes einfach nicht dicht und viele Labore mussten deshalb aufgegeben werden. Aber ich habe eben auch Leute getroffen, die etwas bewegen wollten. Ich habe leuchtende Augen gesehen. Und trotz der schwierigen Verhältnisse waren gute Arbeiten gelaufen. Da wusste ich: Daraus kann man etwas machen. Innerhalb von zwanzig Jahren hat sich Dresden dann zu einem phantastischen Technologiestandort entwickelt.
Sie waren kurz zuvor auch an den legendären AT&T Bell Laboratories in Holmdel (New Jersey) und haben den Vergleich. Würden Sie sagen, Dresden hat in der Hochtechnologie die großen und oft privatwirtschaftlich angebundenen Forschungsorte des zwanzigsten Jahrhunderts - wie eben die Bell Labs - abgelöst?
Das ist ein Gedanke, der mir noch nie gekommen ist. Aber es stimmt irgendwo, gerade was die früher einmal berühmten Bell Labs betrifft. Als ich 1991 ging, wurden die schon vorher zu bemerkenden Probleme dort sehr groß. Der Niedergang ging schließlich so weit, dass von der großen Tradition der Bell Labs quasi nichts mehr vorhanden ist.
Was braucht man, um einen florierenden Wissenschaftsstandort aufzubauen?
Immer zwei Dinge: Rahmenbedingungen und Menschen. Und man darf nicht übersehen, dass es die Menschen in Dresden schon gab. Schließlich war hier das Zentrum der DDR-Mikroelektronik. Man hatte zwar schlechte Maschinen und undichte Dächer, aber die Wissenschaftler waren trotzdem äußerst kompetent. Als die dann auch noch bessere Möglichkeiten bekamen, denn das Land Sachsen hat das schon ziemlich geschickt angepackt, da war kein Halten mehr. Deshalb hat sich alles hier so schnell entwickelt.
Ging es immer nur bergauf oder gab es auch Rückschläge?
Viele Fehlschläge gab es eigentlich nicht. Unglücklich war natürlich die Insolvenz von Qimonda, aber es ist doch erstaunlich, wie schnell dieser Schlag überwunden wurde. Die Mitarbeiter wurden vom wachsenden Markt aufgenommen. Eine bleibende Wirkung hatte dieser Fehlschlag jedenfalls nicht.
Seit wenigen Monaten ist die TU Dresden ganz offiziell eine „Elite-Uni", weil sie in der Exzellenzinitiative auch als Gesamteinrichtung als exzellent anerkannt wurde. Wie fühlt sich das an und wozu spornt das an?
Es ist zunächst einmal eine sehr große Anerkennung. Wir haben sehr darum gekämpft, auch einige erfolglose Versuche hinter uns, was diese Exzellenz-Label für die ganze Universität angeht. Und das spornt uns natürlich an, jetzt endgültig auf die Überholspur zu wechseln. Man muss schon sagen, dass dieser Erfolg für uns auch insofern wichtig ist, als die finanziellen Mittel der neuen Bundesländer durch das Abschmelzen des Solidarpakts langsam an ihre Grenzen stoßen: Mit diesem Status hat man doch eine andere Position in der Stellenstreichdiskussion.
Sie spielen an auf die Unterfinanzierung der TU Dresden, die der Rektor Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen vor einigen Monaten beklagt hat?
Ich teile die Meinung des Rektors der TU Dresden, dass diese Universität strukturell unterfinanziert ist. Wir sind ganz hinten im Hinblick auf das, was wir pro Absolvent an öffentlichen Geldern bekommen. Andererseits sind wir exzellent im Drittmitteleinwerben, so dass ich mich über die finanzielle Ausstattung in meinem Bereich nicht beklagen kann. Aber das Missverhältnis zwischen dem, was wir bekommen, und dem, was wir selbst über Drittmittel einwerben müssen, das besteht schon.
Dresden ist stolz auf seine vernetzte Wissenschaftskultur. Funktioniert das hier wirklich so gut? Und was spricht noch für diese Stadt?
Ja, das würde ich sagen, dass die Vernetzung hier besonders gut funktioniert. Ich bin ja auch noch Institutsleiter bei Fraunhofer. Von anderen Standorten kenne ich es, dass es permanent Reibereien zwischen den Institutionen gibt. Das ist hier nicht der Fall. Auch die Verbindung zu den Unternehmen ist sehr gut. Das liegt sicher auch an der Größe dieses Standorts, wo fast jeder jeden kennt. Außerdem ist Dresden, mal abgesehen von der schlechten Verkehrsanbindung, wohl die attraktivste Stadt Deutschlands. Das Preis-Lebensqualität-Verhältnis ist kaum zu schlagen, auch die Schulsituation ist gut.
Noch einmal zur Vernetzung von Universität, außeruniversitären Forschungsinstitutionen und der Wirtschaft. Sie können ja geradezu als Personifikation dieser Vernetzung gelten, schließlich sind Sie TU-Professor, Leiter des Fraunhofer COMEDD und Mitinitiator verschiedener Ausgründungen wie der Novaled AG oder der Heliatek GmbH.
In meinem Fall ist das ganz anschaulich. Ich forsche und lehre an der Universität. Das Fraunhofer Institut ist die Brücke zwischen Wissenschaft und Industrie. Hier wird angewandte Forschung betrieben mit Anlagen, die man schon aus finanziellen Gründen an den Universitäten kaum betreiben kann. Die Zusammenarbeit klappt vorzüglich. Viele Mitarbeiter der Fraunhofer Institute kommen selbst von der TU. Es gibt auch gemeinsame Arbeitsgruppen, so dass Studenten schon früh an diese Institute herangeführt werden. Ebenso ist es bei den verschiedenen Ausgründungen. Auch hier stammen viele Personen bis hinauf zur Führung aus der Universität, was die Zusammenarbeit sehr einfach macht. Aber auch mit den nicht von uns selbst gegründeten Firmen pflegen wir einen sehr engen Kontakt.
Wie erfolgreich diese Zusammenarbeit ist, sieht man auch daran dass Sie vor einem Jahr gemeinsam mit den Unternehmensgründern Jan Blochwitz-Nimoth (Novaled) und Martin Pfeiffer (Heliatek) mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet wurden. Wofür genau wurde dieser Preis verliehen?
Den Preis gab es für effiziente organische Bauelemente, genauer: für effiziente organische Leuchtdioden (OLEDs) und Solarzellen. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass man organische Leuchtdioden herstellen kann, die effizienter sind als Leuchtstoffröhren und etwa sechsmal so effizient wie Glühbirnen. Und wir haben organische Solarzellen hergestellt, die zwar noch nicht so effizient sind wie die Siliziumkonkurrenz, aber die sich doch sehr gut entwickelt haben und einen Effizienzgrad von etwa 10 Prozent aufweisen. Dazu war es nötig, zu zeigen, dass die Leitfähigkeit von organischen Halbleitern durch Beimischung eines bestimmten Moleküls etwa um den Faktor eine Million gesteigert werden kann.
Werden diese Forschungsergebnisse heute schon in Produkten eingesetzt?
Ja, in jedem Samsung-Gerät mit OLED-Display steckt unsere Technologie. Die Novaled ist hier im Geschäft.
Wo sitzt die Konkurrenz?
Wenn es um die industrielle Umsetzung geht, ist das Land, das die schärfste Konkurrenz darstellt, Südkorea. Wir liefern natürlich auch an die Konkurrenz, die Display-Technologie konzentriert sich inzwischen ja auf Asien. Als Zulieferer verdienen wir also mit. Auch bei der OLED-Beleuchtung ist Korea tonangebend. Bei den Solarzellen ist die Konkurrenz weiter verbreitet, da gibt es beispielsweise auch in den USA sehr aktive Firmen. Geforscht wird natürlich weltweit an diesen Themen. Der Cluster zur Organik in Dresden ist mit über tausend Mitarbeitern aber der größte in Europa.
Wozu kann Ihre Technologie in Zukunft eingesetzt werden?
Die dünnen organischen Halbleiter haben den Vorteil, dass man sie wie einen Farbstoff auf fast alles aufbringen kann, auf Glas, auf Kunststoff- oder Metallfolien, auf Papier oder auf Kleidung. Deshalb ist es natürlich recht leicht möglich, flexible Bauelemente herzustellen. Aufrollbare Displays oder aufrollbare Solarzellen sind denkbar. Aber auch die Transparenz wird eine größere Rolle spielen. Wir können Solarzellen und Leuchtdioden herstellen, die weitgehend durchsichtig sind.
Wann sind diese Produkte Ihrer Erwartung nach marktreif?
Die flexiblen Solarzellen sind kurz vor der Anwendung. Die Heliatek wird demnächst erste Produkte auf den Markt bringen. Flexible Displays sind recht anspruchsvoll. Da würde ich denken, dass es noch einige Jahre dauert, jedenfalls bis zur breiten Anwendung. Prototypen aber gibt es bereits.
Haben Sie eine Lieblingszukunftsvision für organische Bauelemente?
Ja. Man könnte in Zukunft Fenster mit transparenten OLEDs belegen, so dass sich tagsüber durchschauen ließe und diese Fenster am Abend auf Knopfdruck zu Leuchtflächen würden. Wir haben da ein kleines Modell gebaut. Das ist ein sehr schöner Effekt: als hätte man Tageslicht. Wenn man diese Installation dann noch mit transparenten Solarzellen kombinierte, dann würde die Energie tags erzeugt, die nachts verbraucht würde.
Die organische Elektronik ist der große Konkurrent zur herkömmlichen, siliziumbasierten Mikroelektronik. Arbeitet man da trotzdem zusammen?
Natürlich. Sehr gut kenne ich im Bereich der Silizium-Mikroelektronik etwa die Kollegen Thomas Mikolajick und Johann Bartha. Wir haben ein gemeinsames Projekt zur Erforschung neuer Abscheidemethoden. Eine Beschichtungstechnik, die in der Silizium-Mikroelektronik verwendet wird und extrem dünne Schichten erzeugen kann, verwenden wir nun auch, um organische Bauelemente gegen Sauerstoff und Wasserdampf zu verkapseln. Das zeigt auch noch einmal sehr schön, wie Synergien zustande kommen, weil man sich kennt.
Eine abschließende Prognose: Wohin wird sich der Standort Dresden in naher Zukunft entwickeln?
Wir sind als Hochtechnologie- und Informationstechnikstandort heute schon an der Spitze Europas. Auch Grenoble ist ein bedeutender Standort, aber Dresden ist rein numerisch größer und besitzt die größere Vielfalt. Ich denke, dass Dresden gute Chancen hat, diesen Bereich noch auszubauen. Zunehmend Gewicht gewinnt hier auch die Biotechnologiebranche, die wir gegenwärtig zusammenbringen mit der Mikroelektronik.
Es gibt aber auch zwei große Herausforderungen: Schwierig wäre es, wenn die TU Dresden weiter mit der jetzigen oder gar einer noch weiter reduzierten Grundausstattung leben müsste. Zweitens ist es ein Problem, dass es Dresden - wie überhaupt die neuen Bundesländer - nicht geschafft hat, zum Standort großer Unternehmen zu werden. In Diskussionen kommt dieses Thema immer wieder auf: Wie lockt man ein großes Unternehmen her?
Ja, wie macht man das?
Mein Standpunkt ist: Wir müssen selbst eines gründen. Allerdings ist das auch nicht einfach in Deutschland, während in China alle sechs Wochen ein Großunternehmen gegründet wird. Ich frage mich manchmal, warum wir so etwas wie Google nicht auf die Beine stellen können. Dresden wäre dafür doch ein optimaler Standort.
Vielleicht haben Sie ja schon ein Großunternehmen gegründet, aber wissen es nur noch nicht?
Schön wäre es.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Thomas Mikolajick: „Man darf sich da nicht ausruhen"
- Professor für Nanoelektronische Materialien am Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden
- Geschäftsführer des Nanoelectronic Materials Laboratory (NaMLab) der TU Dresden & Leiter des BMBF-Spitzenclusters „Cool Silicon"
Herr Professor Mikolajick, hätten Sie gedacht, einmal in Dresden zu landen?
Vor 25 Jahren sicher nicht. Ich bin 1996 in die Halbleiterindustrie gegangen, damals bei Siemens, zunächst in Regensburg. Mit der Gründung von Infineon Technologies bin ich dann von Regensburg nach München gewechselt. Dann, um 2001, ging es vom Infineon-Konzern aus eindeutig in Richtung Dresden. Genauer gesagt, orientierte sich der später als Qimonda ausgegliederte und insolvent gegangene Speicherbereich von Infineon mit seiner Technologieentwicklung nach Dresden. Und wer nicht Chips am Computer designt, sondern wie ich in der Technologie selbst arbeitet, der ist vom Zugriff auf die milliardenteure Hochtechnologie abhängig. Um an der Speerspitze der Entwicklung arbeiten zu können, bin ich also - noch innerhalb des Infineon-Konzerns - nach Dresden umgezogen.
Sie erwähnen die Qimonda-Insolvenz. Es war in dieser Branche nicht die einzige. Gehören solche Insolvenzen einfach dazu oder war man zu euphorisch?
Bei den Insolvenzen muss man zwei Aspekte unterscheiden, nämlich Wettbewerbsbedingungen und Subventionsbedingungen. Zum ersten Aspekt: Das Halbleiter-Geschäft ist ein Geschäft mit hohen Investitionen. Läuft der Markt gut, wird schnell bei allen Herstellern in neue Kapazitäten investiert, und es kommt dann zwangsläufig zu einer signifikanten Überproduktion, die der Markt wieder bereinigen muss. Dennoch hat der Halbleitermarkt über diese Zyklen hinweg, also auf mehrere Jahrzehnte gesehen, ein zweistelliges Wachstum. Die Firmen, die durchhalten, profitieren letztlich sehr gut.
Man ahnt schon, dass es bei den Subventionen weniger Hoffnung gibt.
Ja, der zweite Aspekt ist bedauerlicher. Weil die Halbleiter-Industrie so kostenintensiv ist, kommt sie nirgends auf der Welt ohne Subventionen aus. Das ist an sich nicht schlimm, zahlt sich auf lange Sicht aus. Es gibt da aber einen regelrechten Subventionswettbewerb. Jeder Standort wirbt mit Vorteilen. In Deutschland zum Beispiel sind Forschungsprojekte ein wichtiger Bestandteil der Förderung bei risikobehafteten Entwicklungen. Man stellt den Firmen also universitäre Partner an die Seite und steuert so einen Teil der Forschung bei. Auch die Dresden-Erfolgsstory in den Neunzigern wäre nicht ohne Anreize von Land und Bund möglich gewesen. Man hat auf diese Weise erst Siemens, dann AMD ansiedeln können, zwei große Player, die viele weitere Firmen anzogen. Im Hightech-Bereich sind in der Region heute 50.000 Menschen beschäftigt, in der Mikroelektronik allein 20.000. Inzwischen aber wird in der asiatischen Welt und teils in den USA dieser Geschäftszweig als sehr viel gesellschaftsrelevanter angesehen und deutlich stärker gefördert. Das führt dazu, dass viele europäische Firmen ins Hintertreffen geraten, abwandern oder von nordamerikanischen respektive asiatischen Firmen übernommen werden.
Welche Unterstützung haben Sie denn in Dresden, damit die Anwendung Ihrer Innovationen nicht gleich von Asien oder den USA abgesaugt wird?
In Dresden sieht es zum Glück noch ganz gut aus, weil wir die Unterstützung der Stadt und des Landes Sachsen haben. Von der Bundesebene her kommt allerdings derzeit kaum Unterstützung. Auf EU-Ebene regt sich durch die Initiative „Key Enabling Technologies" (KET) nun allmählich wieder etwas.
Sie sind Geschäftsführer der Nanoelectronic Materials Laboratory GmbH (NaMLab), einer 100-prozentigen Tochter der TU Dresden, zudem als Professor am TU-Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik tätig und außerdem Koordinator des BMBF-Spitzenclusters CoolSilicon: drei Vollzeitjobs. Trennen Sie im Kopf die Tätigkeiten strikt voneinander?
Das muss natürlich ineinander greifen, sonst hat das gar keinen Sinn. Wirklich Hand in Hand gehen die NaMLab- und die Uni-Tätigkeit. Bei NaMLab steht die Anwendung im Mittelpunkt, und das ruht oft auf dem auf, was am Lehrstuhl erforscht wird. Die Kooperation mit der Industrie kann eine GmbH allerdings sehr viel strukturierter und flexibler abwickeln. Deshalb ist dieser Ansatz überaus erfolgreich. Etwas darüber hinaus geht die Cool Silicon-Tätigkeit, auch wenn NaMLab hier Projektpartner ist. Bei Cool Silicon, wo Wissenschaft und lokale Mikroelektronik-Wirtschaft zusammenkommen, habe ich es als Koordinator auch mit Standortpolitik zu tun. Das ist mir aber ohnehin ein Anliegen.
Wie sehen Sie Dresden denn als Wissenschaftsregion: Funktioniert die Vernetzung von Wissenschaft und Unternehmen hier besser als an anderen Orten, die Sie kennen gelernt haben?
Eindeutig ja, zumindest im Blick auf die Orte, die ich kennen gelernt habe. Gerade auch der Cool Silicon-Cluster hat zur Intensivierung beigetragen. Die Leute kennen sich viel besser, wissen, wo sie zusammenarbeiten können und auch, wo das nicht sinnvoll ist. Damit sind die Erwartungen an die Partner klar. Es geht hier sehr schnell, Verbundprojekte zu starten. Wichtig ist, dass alle Seiten etwas davon haben. Die Unternehmen machen das schließlich nicht aus reiner Großzügigkeit, sondern aus eigensten Interessen. Es bietet sich für Halbleiter-Unternehmen - wie Infineon und GlobalFoundries - schon deshalb an, mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten, weil die Halbleitertechnik per se extrem innovativ ist. Alle anderthalb Jahren verdoppelt sich die Anzahl der Transistoren auf einem Chip, jedes Mal müssen die Grenzen der Physik aufs Neue gestreckt werden. Man darf sich da nicht ausruhen, sondern muss an der Forschung dran bleiben.
Sprechen auch weiche Faktoren für den Standort Dresden?
Das dynamische Umfeld aus vielen Firmen, die an vorderster Front in der Halbleitertechnik mitspielen, ist äußerst spannend, das ist der Hauptpunkt. Aber Dresdens Anziehung geht natürlich darüber hinaus. Die Stadt selbst ist einfach großartig, allein die Elb-Silhouette! Man hat es auch nicht weit in die Sächsische Schweiz und ins Erzgebirge, was den Freizeitwert extrem steigert. Außerdem hat die Stadt genau die richtige Größe, ist überblickbar, aber doch eine Großstadt. Und nicht zu vergessen: Die Kinderbetreuung funktioniert hier weit besser als im Westen. Das führe ich immer ins Feld, wenn ich Leute nach Dresden holen möchte.
Von Dresden kann Sie also so leicht nichts weglocken?
Es kann immer sein, dass sich Chancen auftun, die so groß sind, dass man darüber nachdenken muss. Aber wenn Sie eine Prognose möchten, würde ich sagen, dass ich dem Standort Dresden noch viele Jahre treu bleiben werde.
Sie vernetzen den Cluster wiederum mit anderen Clustern. Dabei kommen auch Formen wie „Science Speed Datings" zum Einsatz. Was genau ist das und wie kamen Sie auf diese Idee?
Das war ein recht spontaner Einfall eines Vorstandsmitglieds von Cool Silicon, der aber ein voller Erfolg war. Das Motto im Frühjahr war Vernetzung, und so haben wir diese persönliche Form gewählt, bei der sich jeweils zwei Forscher einander wissenschaftlich vorstellen - eine andere Form des Brainstorming also. Wir probieren gerne innovative Formen aus. Letztes Jahr hatten wir auch ein Kunstprojekt.
Den "Cool Silicon Art Award". War das mehr eine PR-Aktion? Oder sehen Sie innere Verwandtschaften der beiden Kreativitätsverdichtungen Kunst und Hochtechnologie?
Wenn ich ehrlich bin, gibt es da unterschiedliche Sichtweisen im Cluster. Ursprünglich wollten wir über diesen Kanal vor allem die Forschung an die Bevölkerung heranbringen, aber man beginnt da ja auch einen Dialog mit einer zunächst einmal fremden Welt. Für mich war das extrem spannend. Ich habe da durchaus neue Anregungen im Denken insgesamt mitgenommen. Den Weg wollen wir jedenfalls weitergehen.
Kommt man als Forschungsdirigent überhaupt noch dazu, selbst zu forschen?
Nicht so viel, wie ich mir das eigentlich wünsche. Ins Labor gehe ich selbst nicht mehr allzu oft. Über die am NaMLab sehr strukturierte Betreuung der Doktoranden gelingt es mir derzeit noch, an der Forschung dranzubleiben. Die Koordinationszeit geht aber natürlich von der Forschungszeit ab. Das muss man abwägen, aber im Moment bin ich ganz zufrieden.
Damit der Leser einen Eindruck davon bekommt, was Sie im NaMLab tun, skizzieren Sie doch bitte kurz eines der anwendungsnahen Projekte.
Aus dem NaMLab-Kosmos bietet sich da - neben vielen anderen - das „Cool Memory"-Projekt an. Wir haben ein bekanntes Material aus der Halbleiterindustrie, das Hafniumoxid, so modifizieren können, dass es ferroelektrisch wird. Das heißt, dass ich in dem Material zwei stabile Polarisationszustände habe. Damit kann ich Informationsspeicherung betreiben. Das ist an sich nicht neu, aber wird bislang nur mit extrem komplizierten Materialien umgesetzt. Wir integrieren das soeben gemeinsam mit Global Foundries in eine 28-Nanometer-Technologie. Das hat uns sehr viel Aufmerksamkeit gebracht.
Was genau ist der Vorteil des modifizierten Hafniumoxids?
Auf jedem Halbleiterchip befinden sich einige Bit nicht-flüchtiger Speicher. Dafür werden heute diverse Technologien verwendet, aber die haben verschiedene Nachteile, darunter den, dass sie alle bei ziemlich hohen Spannungen arbeiten. Das wirkt sich auf die Größe der und den Energiebedarf der Bauelemente aus. Mit unserem Material ist das nicht der Fall. Deshalb sprechen wir von „Cool Memory". So könnte es sein, dass GlobalFoundries bald das weltweit kostengünstigste und energieeffizienteste Halbleitermodul besitzt. Das wäre ein riesiger Wettbewerbsvorteil und ein großer Erfolg für unsere Arbeit.
Warum kooperieren Sie da mit der Industrie?
Die Industrie hat ein eminentes Interesse an dieser Forschung. Jeder Versuch in der 28-Nanometer-Technologie kostet mehr als ein Kleinwagen. Warum GlobalFoundries? Für dieses Unternehmen ist diese Innovation besonders vielversprechend, denn es handelt sich ja um eine Foundry, also ein Unternehmen, das ausschließlich im Auftrag anderer Firmen entwickelnd tätig wird. Es wird also nicht ein einzelnes Produkt entwickelt sondern eine Basistechnologie bereit gestellt, die die Kunden für Ihre Produkte nutzen können. Ein schon verwendetes, aber neuartig modifiziertes Material, mit dem sich viele unterschiedliche Spezifikationen realisieren lassen, ist da höchst attraktiv.
Wie weit sind Sie?
Der Nachweis ist erbracht, dass die Technologie in 28-Nanometern funktioniert. Das ist nicht trivial. Auch wenn im Labor - in großen Strukturen - alles perfekt funktioniert können diese Ergebnisse in vielen Fällen nicht direkt in einen skalierten Halbleiterprozess eingebaut werden. Wir haben nun aber gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist. Damit haben wir erst einmal nur einzelne Bits für einen Speicher hergestellt, was natürlich nicht ausreicht. Jetzt geht es also darum, daraus Speichermatrizen zu machen und die Ansteuerung zu entwickeln. Das sind die nächsten Schritte.
Wie lange dauert so etwas in der Regel?
Von dem Status, den wir jetzt haben, dauert es bis zur Fertigungsreife normalerweise 3 bis 10 Jahre. In diesem Fall würde ich eher auf 3 bis 5 Jahre tippen, weil das Material in der Fertigung bereits eingesetzt wird: Wir haben es ja nur modifiziert.
Wie hängt dieses Projekt mit anderen aus Cool Silicon zusammen?
In „Area 1" von Cool Silicon, das sich mit Mikro- und Nanotechnologie beschäftigt, gab es das Leitprojekt „Cool Computing": Hier wurde die Basistransistortechnologie entwickelt, auf die wir jetzt bei „Cool Memory" aufsetzen. Die „Area 2"-Projekte (Informationselektronik) greifen natürlich ebenfalls auf solche Basistechnologien zurück, auch wenn es da um System- und Chipdesign geht.
Arbeitet man in Ihrem Bereich heute stärker interdisziplinär als früher?
Ja. Früher war das Arbeiten in der Halbleitertechnik viel stärker getrennt in Technologie einerseits und System beziehungsweise Design andererseits. Aber heute braucht man alle drei Ebenen, um etwas zu entwickeln, das auf dem Markt erfolgreich sein soll.
Hätten Sie auch da ein Beispiel?
Früher etwa dachten wir von der Technologieseite her, Speichertechnik müsse nahezu perfekt funktionieren, sonst sei sie unverkäuflich. Es ist aber heute so, dass etwa USB-Sticks gar nicht mehr perfekt funktionieren, sondern gleich mit Fehlern und Defekten ausgeliefert werden. Aber das merken Sie gar nicht, denn es gibt auf den Controllern der Speichergeräte heute mächtige Korrekturalgorithmen, die letztlich das ausgeben, was eigentlich hätte gespeichert werden sollen. Um diese technologisch zu beherrschen, muss ein Entwickler zugleich Systeme verstehen, er muss wissen, welche Fehler behebbar sind und welche nicht. Die Vernetzung beider Bereiche ist hier essentiell.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen: „Wir sind gemeinsam in die Höhe gewachsen"
Rektor der TU Dresden & Vorsitzender des Beirates der Desertec Industrial Initiative (Dii)
Herr Professor Müller-Steinhagen, wie verschlungen war Ihr Weg nach Dresden?
Mein Weg nach Dresden hat mich einmal um die ganze Welt geführt. Ich habe in Karlsruhe studiert und promoviert, war danach an verschiedenen Universitäten tätig: zwei Jahre in Vancouver (Kanada), acht Jahre in Auckland (Neuseeland), sieben Jahre in der Nähe von London, dann zehn Jahre Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und zugleich Institutsdirektor an der Universität Stuttgart. Dann kam Dresden, kein direkter Weg also, aber ein sehr konsequenter von der Wissenschaft über das Wissenschaftsmanagement bis zu dieser Führungsposition in Dresden. Und ich kann mir nichts vorstellen, das besser sein könnte, als Rektor der TU Dresden zu sein!
Die TU Dresden hat in der Exzellenzinitiative nun eine gute Figur gemacht. Es gibt nun nicht nur einen zweiten Exzellenzcluster, sondern vor allem den Hauptstempel „Exzellenzuniversität". Über 135 Millionen fließen deshalb in den nächsten fünf Jahren zusätzlich in die Universität. Gleicht das partiell die von Ihnen vor einem Dreivierteljahr angesprochene Unterfinanzierung durch das Land Sachsen aus?
Nein, die Mittel aus der Exzellenzinitiative sind ja klar definiert. Sie dienen in erster Linie der Förderung der Forschung, insbesondere im Fall der beiden Clustern und der Graduiertenschule. Sie können die Universität operativ und strukturell auf ein höheres Niveau bringen. Aber diese Mittel dienen beispielsweise nicht der Unterstützung der Lehre. Sie können auch nicht für Infrastrukturmaßnahmen wie Gebäudesanierung eingesetzt werden. Wir sitzen also keineswegs auf einem Sack voll Gold, von dem sich nun jeder einen Schlag abholen kann, auch wenn sich das mancher so vorstellen mag. Das ist alles schon verplant bis auf die Viertelstelle herunter, so bewilligt von Senat und Hochschulrat. Letztlich haben wir einen Antrag für bestimmte Projekte gestellt wie sonst auch, und die müssen wir jetzt umsetzen.
Die Kuh ist also noch nicht vom Eis?
Meine Aussage im vergangenen Jahr war, dass alle Universitäten in Deutschland im Vergleich zu unseren Wettbewerbern im Ausland schlecht finanziert sind. Bei uns erhält eine Universität im Schnitt 8000 Euro pro Student und Jahr an öffentlichen Geldern. An der ETH Zürich ist es viermal so viel, in England auch. Selbst in China, so habe ich gerade erfahren, bekommen die guten Universitäten pro Student doppelt so viele Landesmittel wie wir. Und in Sachsen ist die Finanzierung noch einmal deutlich schlechter als im Bundesdurchschnitt.
Aber der neue Status öffnet doch auch Türen?
Der Exzellenz-Status hilft uns natürlich weiter, das ist gar keine Frage. Der sächsische Ministerpräsident hat uns zum Beispiel gleich nach dem Erfolg in der Exzellenzinitiative ein beschleunigtes Bau- und Sanierungsprogramm im Wert von immerhin 250 Millionen Euro in den nächsten sechs Jahren zugesagt. Das ist doppelt so viel wie wir sonst gehabt hätten. So nutzt der Exzellenzstatus also doch allen Angehörigen der TU Dresden. Darüber hinaus sollen Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die eine nachhaltige Verbesserung des universitären Betriebs ermöglichen. Das Interesse ausländischer Forscher und Studenten an der TU Dresden ist bereits deutlich gewachsen. Und bei der Drittmitteleinwerbung können wir als Exzellenz-Uni wohl noch erfolgreicher sein als ohnehin schon.
Wohin soll sich die TU denn in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Ich sehe die TU Dresden, die aus historischen Gründen „Technische Universität" heißt, auch in Zukunft ganz klar als Volluniversität. Wir sind sogar eine der wenigen echten Volluniversitäten in Deutschland, da wir über leistungsstarke Fakultäten in den Naturwissenschaften, den Ingenieurwissenschaften, der Medizin und den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften verfügen. Die spannenden Schnittstellen der Zukunft liegen wohl zwischen den Technik- und Lebenswissenschaften einerseits und den Sozial- und Kulturwissenschaften andererseits. Ich sehe als Vision vor mir, dass wir es in fünf bis zehn Jahren geschafft haben, in jedem der vier erwähnten Fachbereiche zumindest je einen wissenschaftlichen Leuchtturm zu besitzen, so wie sie jetzt schon in der Biomedizin und zukünftig in der Halbleitertechnik gibt.
Also geht der Ausbau der starken Fächer nicht zu Lasten der übrigen?
Wir werden die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit gerade auch in den Bereichen, die bisher nicht Weltspitzenniveau erreicht haben, weiter stärken, wie in den Sozial- und Kulturwissenschaften, in denen ein Drittel unserer Studierenden eingeschrieben ist. Es ist also keineswegs so, dass wir in den Bereichen, die diesmal nicht erfolgreich waren, nun abbauen werden, im Gegenteil, hier wird strategisch verstärkt.
„Die Synergetische Universität" haben Sie Ihr Zukunftskonzept genannt. Was heißt denn das in zwei Sätzen?
Eine synergetische Universität setzt auf Synergien zwischen den einzelnen Fachrichtungen, aber auch auf Synergien mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Das ist inhaltlich einfach sinnvoll, denn auch die wissenschaftlichen Fragen halten sich nicht an Disziplingrenzen: Ein Beispiel von vielen: wenn Sie Stammzellenforschung betreiben, haben Sie auch viele ethische Fragen zu lösen.
Auf Synergien haben es viele Universitäten abgesehen, aber meist bleibt das eine schöne Worthülse. In Dresden scheinen Interdisziplinarität und Vernetzung aber tatsächlich gelebt zu werden. Wie kam es dazu?
Es gibt in Dresden eine enorme Dichte an außeruniversitärer Forschung. Wir sind der größte Fraunhofer-Standort, wir haben drei Max-Planck-Institute, drei Leibniz-Institute, das Helmholtzzentrum Dresden-Rossendorf, dazu eine ganze Reihe forschungsaktiver kultureller Institutionen wie die Staatlichen Kunstsammlungen, das Deutsche Hygienemuseum, das Militärhistorische Museum und die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB). Mit diesen haben wir einen ganz engen Verbund etabliert, einen eingetragenen Verein mit einer klaren „Governance", in dem wir zahlreiche Personalmaßnahmen und Großgeräteinvestitionen gemeinsam entscheiden. Die Zusammenarbeit all dieser Einrichtungen funktioniert sensationell, weil alle vor zwanzig Jahren auf Null zurückgesetzt und neu gestartet wurden - genau wie die TUD auch. Man ist von diesem Zeitpunkt an gemeinsam gewachsen, in die Höhe, aber auch institutionell zusammengewachsen. Ähnliches gilt auch für die hier ansässige Industrie, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Allerdings ist es leider so, dass nur wenige große Firmen in den neuen Bundesländern ihre eigene Forschung betreiben.
Man hört viel vom „Dresden-Spirit" neuerdings. Was ist das genau?
Das kam bei der Begutachtung in der Exzellenzinitiative zur Sprache. Die Gutachter waren der Meinung, dass hier ein besonderer Geist herrsche, eben der „Dresden-Spirit". Damit ist die Bereitschaft gemeint, im Team über institutionelle Grenzen hinweg neue Themen und neue Strukturen anzugehen, also ein gewisser Pioniergeist. Einer der Gutachter hat sogar geäußert, dass er sich nicht habe vorstellen können, dass so etwas in diesem Ausmaß an einer deutschen Universität überhaupt möglich ist. Es ist zunächst eine Frage gegenseitiger Wertschätzung. Zugleich weiß man auch: Wenn wir die Dinge gemeinsam angehen, dann haben wir alle Chancen der Welt. Im Wettbewerb gegeneinander würden wir verlieren, weil es hier immer noch historisch bedingte Standortnachteile gibt.
Dass man nur durch Zusammenarbeit den großen Visionen näher kommt, zeigt auch das visionäre europäische Desertec-Projekt, das die Gewinnung von Sonnen- und Windenergie für ganz Europa in der Wüste Nordafrikas zum Ziel hat. Sie waren in der Planungsphase eine der Schlüsselfiguren dieses Projekts. Was ist Ihre Rolle bei der Umsetzung?
Dem Desertec-Projekt bin ich seit Jahren sehr verbunden. Vor meiner Zeit als Rektor in Dresden habe ich beim DLR und an der Universität Stuttgart etwa 250 Mitarbeiter gehabt, die sich mit dem Thema nachhaltige Energieversorgung beschäftigt haben. Alle Konzepte zu Desertec sind aus meinem früheren DLR-Institut hervorgegangen. Auch heute bin ich noch der Chairman des internationalen Beirats der Desertec-Industrie-Initiative (dii).
Wie ist denn der Stand des Projekts? Hat der arabische Frühling nicht alles aus dem Takt gebracht?
Ja, der arabische Frühling und noch stärker die Weltfinanzkrise und die Eurokrise haben das Projekt schon ein wenig ausgebremst. Vor allem Spanien hat in seiner derzeit problematischen wirtschaftlichen Situation nun weiteren Verhandlungsbedarf angemeldet. Dass Spanien dieser Tage Probleme mit Subventionen über Stromeinspeisegesetze hat, kann man gut verstehen. Aber das Thema Energiewende bleibt natürlich weiterhin höchst akut.
Politisch sind alle Steine aus dem Weg geräumt?
Es ging in der ersten Phase darum, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Da ist man gut vorangekommen. Momentan stockt es beim Aufbringen der Mittel für den Bau der ersten Referenzkraftwerke in Marokko. Diese werden aber auf jeden Fall dort gebaut werden, einfach weil es schon eine bestehende Stromleitung nach Spanien gibt.
Die große Vision bleibt also?
Natürlich. Ich bin immer noch optimistisch, dass wir das Projekt umsetzen werden. Es sind ja viele Staaten, die EU sowie große Firmen beteiligt. Man wird nur vielleicht nicht, wie ursprünglich geplant, in diesem Jahr noch den ersten Spatenstich in Marokko tun.
Ist die TU Dresden auch in Desertec involviert?
Wir sind inzwischen Mitglied des Desertec University Networks, nehmen also an Austauschprogrammen und gemeinsamen Aktivitäten teil. Dieses Netzwerk ist ein Zusammenschluss von knapp zwanzig Universitäten, viele davon aus dem nordafrikanischen Raum. Das große Ziel ist die Ausbildung von Ingenieuren und Wirtschaftswissenschaftlern, die Desertec später einmal am Laufen halten. Desertec ist ja mehr als ein reines Kraftwerkprojekt. Die gesamte Region soll davon profitieren, weshalb zum Beispiel auch die Meerwasserentsalzung ein Thema ist. Wir haben an der TU Dresden weiterhin einige Forschungsprojekte etwa zum Thema solarthermische Kraftwerke. Gemeinsam mit dem DLR soll bei uns bald eine Professur für solare Wasserstofferzeugung eingerichtet werden. Die Energieversorgung der Zukunft ist übrigens schon lange ein Forschungsschwerpunkt Dresdens. Ich verweise zum Beispiel auf die Arbeiten von Prof. Karl Leo am Institut für Angewandte Photophysik (IAPP) der TUD: Die von ihm entwickelten neuen Solarzellen, die kostengünstig Strom produzieren, werden noch eine große Rolle spielen. Außerdem ist es essentiell, in Zukunft die Ressourcen effizienter zu nutzen, etwa durch einen besseren Effizienzgrad bei der Beleuchtung. Und auch hier ist Karl Leo mit den organischen Leuchtdioden (OLEDs), einer ganz neuen Dimension von Lichtquellen, vorne mit dabei.
Sie haben die nötigen Desertec-Gesamtinvestitionen bis 2050 einmal auf 400 Milliarden Euro geschätzt. Bleibt es dabei?
Das haben wir vor fünf Jahren einmal grob abgeschätzt, es sind wohl doch eher 500 Milliarden. Aber die Zahl relativiert sich, wenn man bedenkt, dass wir in ganz Europa etwa 40% unserer derzeitigen Kraftwerke in den nächsten Jahren aus Altersgründen sowieso ersetzen müssen. Das Hauptproblem ist auch nicht die gesamte Summe, sondern die Anschubfinanzierung, die benötigt wird, um die technologischen Grundlagen dieser Energieerzeugungsform zu etablieren und um mit den konventionellen Energieerzeugungsformen wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden.
Wann soll diese Konkurrenzfähigkeit denn erreicht sein?
Es wurde damals abgeschätzt, dass es im Jahr 2020 so weit sei. Da habe ich meine Bedenken. Es wird wohl eher 2025 werden. Aber auch, wenn wir unseren Zeitplan nicht ganz einhalten, denke ich, dass man in Deutschland nur unter Hinzuziehung eines solchen Nord-Süd-Verbunds in der Lage sein wird, weitestgehend auf nachhaltige Energieerzeugung umzustellen. Hier werden solarthermische Kraftwerke in den sonnenreichen Regionen benötigt, die mit der gespeicherten Wärme auch nach Sonnenuntergang noch unter Volllast betrieben werden können. Das ist eine sinnvolle Ergänzung zu effizienten, wenn auch fluktuierend betriebenen Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Brigitte Voit: „Die Dresdener Materialforschung ist weltweit ein Begriff"
Prof. Dr. Brigitte Voit
- Professorin für Organische Chemie der Polymere an der TU Dresden
-
Wissenschaftliche Direktorin des Leibniz-Instituts für Polymerforschung (IPF)
- Leiterin des IPF-Instituts „Makromolekulare Chemie"
Frau Professor Voit, ist es Ihnen 1997 schwer gefallen, nach Dresden zu gehen?
Nein, mir ist die Wahl, nach Dresden zu gehen, sehr leicht gefallen. Ich hatte damals ein Konkurrenzangebot von einer Universität in der Nähe von Berlin, aber die TU Dresden war damals doch eindeutig besser anerkannt im natur- und ingenieurswissenschaftlichen Bereich. Außerdem war das nicht nur ein Ruf an die TU Dresden, sondern zugleich verbunden mit einer Leitungsfunktion im Leibniz-Institut für Polymerforschung. Auch das machte das Angebot spannend.
Der Aufstieg der Wissenschaftsstadt Dresden begann aber damals erst. Wie haben Sie ihn erlebt?
Das ist richtig. Die TU Dresden hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten enorm weiterentwickelt. Sie ist wesentlich sichtbarer geworden und hat sich insbesondere auf dem Gebiet der Ingenieurswissenschaften, der Materialforschung und der Biomedizin einen hervorragenden Ruf erarbeitet. In all diesen Bereichen spielen natürlich die Naturwissenschaften eine wesentliche Rolle.
Wie sieht es in Ihrem eigenen Wissenschaftsgebiet aus, der Polymerforschung?
Hier ist Dresden mit dem Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) einer der führenden Standorte in Europa. Aber auch darüber hinaus sind wir international sehr sichtbar. Dresden ist in diesem Wissenschaftszweig weltweit ein Begriff. Die Dresdener Materialforschung ist in Europa, aber auch Korea, China, Japan oder den USA sehr anerkannt.
Was ist das Geheimnis des Standorts Dresden?
Ich denke, es ist eine Kombination aus mehreren Faktoren. Es gibt hier erstens eine echte und gelebte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Lehrstühlen der Universität, aber auch mit den außeruniversitären Einrichtungen. Diese Zusammenarbeit wird von allen getragen. Der Grund ist sicher auch, dass nach der Wende hier alle in einem Boot saßen und die Herausforderungen gemeinsam bestanden wurden. Es war natürlich auch ein Neustart: Viele Wissenschaftler kamen damals neu nach Dresden. Zweitens hat man viel Geld in diese Region investiert, das muss man schon anerkennen, auch wenn es Wissenschaftlern natürlich nie genug ist.
Sie selbst sind als TU-Professorin und Wissenschaftliche Direktorin des Leibniz-Instituts für Polymerforschung mit 500 Mitarbeitern ein Beispiel für die Verbindung von universitärer und außeruniversitärer Forschung. Diese Doppelrolle bereitet keine Probleme?
Im Gegenteil! Es gibt in Dresden oft solche gemeinsamen Berufungen. Das trägt natürlich dazu bei, dass die Institutionen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Das Modell der Berufung ist so, dass mein direkter Arbeitgeber die TU Dresden ist. Natürlich bin ich zugleich dem Leibniz-Institut verpflichtet, dessen wissenschaftliche Leitung ich innehabe. Ich muss die Interessen beider Institutionen immer abwägen, aber das führt doch selten zu Reibungen. Natürlich kann es auf der administrativen Ebene schon einmal kleinere Konflikte geben. Aber insgesamt funktioniert es doch wunderbar, auch bei den anderen Leitungspersonen am IPF.
Und deshalb gibt es wohl auch wenig Neid auf Erfolge wie die Exzellenzcluster.
Ja, wir haben alle gemeinsam daran gearbeitet, dass die TU Dresden das Label Exzellenzuniversität erhält, weil wir auch alle davon profitieren. Diese Anerkennung strahlt auf den Standort insgesamt aus. Neue exzellente Wissenschaftler und Studenten können nach Dresden geholt werden, neue Kontakte zu Drittmittelgebern entstehen. Wir sind auch direkt mit unseren Wissenschaftlern des IPF in die Exzellenzcluster eingebunden.
Gibt es auch einen weichen Dresden-Faktor?
Natürlich, unsere Gäste sind immer begeistert von der Stadt. Die Lebensqualität ist beachtlich, die Kultur auf hohem Niveau. Vor allem Familien ziehen gerne her. Sie haben hier ein angenehmes Wohnumfeld, eine gute Schul- und Kita-Situation. Auch findet der mit nach Dresden ziehende Partner hier leichter eine Stelle als beispielsweise in einer reinen Universitätsstadt.
Was muss man sich eigentlich unter Polymerforschung vorstellen?
Polymere sind große Moleküle, sogenannte Makromoleküle. Synthetiker, also Chemiker wie ich, designen sehr gerne Moleküle. Man überlegt sich ganz genau, wie die Strukturelemente aussehen müssen, um ein anwendungsspezifisch maßgeschneidertes Material zu erhalten, das letztendlich aus diesen Makromolekülen besteht. Das eben machen wir hier im Institut, gerade auch in meiner Arbeitsgruppe. Es ist essentiell, dass wir die genaue Anforderung an das Material kennen, weshalb wir frühzeitig mit den Anwendern bzw. den anwendungsnäheren Physikern und Ingenieuren in Kontakt treten.
Vielleicht an einem konkreten Beispiel erklärt?
Da gibt es zum Beispiel den Bereich, den wir seit fünf, sechs Jahren verstärkt haben durch die Einrichtung einer eigenen Arbeitsgruppe und der sich mit neuen Funktionspolymeren für die organische Elektronik beschäftigt. Das sind Polymere, die Halbleitereigenschaften haben, wie sie auch in den siliziumbasierten Chips notwendig sind. In diesem Fall aber eben aus organischem Material bestehen, eben den Polymeren. Da arbeiten wir eng mit der Projektgruppe von Karl Leo zusammen. Und mit dieser Thematik sind wir auch in dem neuen Exzellenzcluster eingebunden, der sich mit den Materialien für die zukünftigen Informationstechnologien beschäftigt. Organische Materialien versprechen viel Flexibilität. Hier kann man ganz neue Anwendungsbereiche erschließen, in den Alltag eingebrachte Sensorik zum Beispiel.
Was ist denn der Vorteil der organischen Materialien?
Der Hauptvorteil der organischen Polymere ist, dass sie mit billigen Herstellungstechniken verarbeitet werden können. So gibt es schon erste Beispiele der „gedruckten Elektronik". Mit Drucktechniken, die man aus dem Zeitungsdruck oder auch vom heimischen Drucker kennt, können Sie eine integrierte Schaltung drucken, einen Chip, einen Transistor. Die siliziumbasierte Halbleitertechnik dagegen ist sehr aufwendig. Allerdings ist die Leistungsfähigkeit der organischen Elektronik noch nicht so hoch wie bei der herkömmlichen Technik. An deren Verbesserung arbeiten wir.
Das IPF hat aber auch Erfolge in der biomedizinischen Forschung vorzuweisen.
Ja. Seit rund sieben Jahren arbeitet eine Arbeitsgruppe direkt bei mir an sogenannten Trägerstrukturen. Das sind organische Makromoleküle mit bestimmten Funktionen. Eine sehr anschauliche Funktion kann beispielsweise sein, dass diese Makromoleküle Medikamente sicher im Körper transportieren können. Viele Medikamente sind beispielsweise nicht wasserlöslich und können nicht einfach verabreicht werden, da muss man also Trägersysteme finden. Dass diese selektiv funktionieren, ist auch sehr wichtig. In der Krebstherapie etwa sind die Medikamente oft toxisch und sollen ausschließlich zu den befallenen Zellen, zu dem Tumor also, gelangen. Diese Polymere müssen das Medikament auf dem Weg zu seiner Bestimmung also gut festhalten, aber dann auch in die Zelle einschleusen, damit sie wirksam werden.
Mit wem arbeiten Sie in dieser Arbeitsgruppe zusammen?
Wir müssen wissen, wie die Biologie mit so einem synthetischen Makromolekül interagiert. Deshalb arbeiten wir hier sehr eng mit der Medizin und der Zellbiologie zusammen. Unsere Partner vor Ort kommen sowohl von der TU Dresden, dem Klinikum, als auch vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG). Ich habe zudem einige Doktoranden, die in die Dresden International Graduate School for Biomedicine and Bioengineering (DIGS-BB) integriert sind und da eine exzellente Vernetzung vorfinden.
Wann kann man mit einem Einsatz dieser Forschungen in der Medizin rechnen?
In der Medizin kann die Zeitschiene ziemlich lang sein. Dabei sind wir schon relativ weit. Nehmen wir zum Beispiel diese stark verzweigten, kugelförmigen Moleküle (Dendrimere), die ein wenig wie eine Schneeflocke aussehen und in die man gut etwas einschließen kann: Diese haben wir mit einer Zuckerschale (Maltose) versehen, damit sie biokompatibel sind. Wir haben gerade nachgewiesen, dass diese Substanzen sehr gut blut- und zellverträglich sind. Bei den Medizinern sind dazu Tierexperimente gelaufen. Und wir konnten auch die Aufnahme in der Zelle und die therapeutische Wirksamkeit belegen. Es ist also gelungen, ganz gezielt - Stichwort „Targeting" - Krebszellen zu erreichen und das Medikament in den betroffenen Zellen freizusetzen. Aber obwohl wir wissenschaftlich so weit sind, liegt bis zur Zulassung für eine medizinische Anwendung noch ein langer, mehrere Jahre beanspruchender Weg vor uns. Das ist dann auch so aufwendig und teuer, dass ein Forschungsinstitut das nicht allein leisten kann. Wir publizieren unsere Ergebnisse und hoffen, dass sich Pharmafirmen dafür interessieren. Es geht übrigens nicht nur um Krebs. Wir hatten auch gute Ergebnisse bei Gehirndefekten (Alzheimer).
Wie groß ist die Konkurrenz?
Wir sind natürlich nicht die einzigen, die an Trägerstrukturen forschen. Das Thema ist sehr breit, und es wird weltweit nach neuen effektiven Strukturen in diesem Bereich gesucht. Zwar gibt es immer wieder neue Ergebnisse und neue Medikamente, bei denen Polymerstrukturen eine gewisse Rolle bei der Verabreichung spielen, aber den großen Durchbruch - inklusive Zulassung - hat noch niemand erreicht.
Und wie steht Dresden da?
Ich denke, dass wir mit unseren Strukturen hier ein Stück weiter sind, als es viele andere Gruppen sein können. Unser Vorteil ist, dass wir sehr eng mit den Zellbiologen und Medizinern zusammenarbeiten. Da muss das Umfeld stimmen. Viele Chemiker-Gruppen publizieren neue Strukturen, hören aber an dieser Stelle auf, weil ihnen die Partner fehlen, die Forschungen weiterzutreiben, die Anwendung zu erproben. Da haben wir einen klaren Standortvorteil. Es werden natürlich auch Partner jenseits von Dresden eingebunden.
Werden die Polymere also die Medizin revolutionieren?
Eine Nischenanwendung ist das jedenfalls nicht. Diese Trägerstrukturen können für sehr viele verschiedene Medikamente und verschiedene Therapien angewandt werden. In der Pharmaindustrie ist das ein riesiges Thema. Allerdings wird kaum je das neue Polymer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Die gebührt doch stets dem Wirkstoff des Medikaments. Wir haben zwar schöne Strukturen und bestimmen den Erfolg maßgeblich mit, aber es wird letztlich nur ein Faktor beim Erfolg sein.
Die Chemiker bekommen zu wenig von der Anerkennung ab?
Die Mediziner und die Pharmakologen fahren die großen Erfolge ein, nicht die Polymerchemie. Aber wir sind wenigstens gut dabei und wissen ja, wie wichtig unsere Beiträge sind.
Vielen Dank für das Gespräch.